Christologie

Die Lehre vom Wesen Christi

Zunächst einmal sind zwei unterschiedliche Herangehensweisen an das Thema "Christologie" zu beschreiben. Die eine wird als Christologie "von oben" bezeichnet, die andere als Christologie "von unten". Während erstere bei der Gottheit des Sohnes als der zweiten Person der Trinität einsetzt, geht letztere vom Menschen Jesus aus, wie ihn die Evangelien zeigen. Beide können jedoch als unzulängliche Alternative gelten, da davon auszugehen ist, dass in Jesus Christus beide Seiten - die göttliche und die menschliche - präsent sind.

Dennoch darf bei allem dogmatischen Nachdenken nicht vergessen werden, dass Jesus konkret in der Geschichte greifbar geworden ist. Werk und Person Jesu Christi sind zusammen zu denken. Wenn man ausschließlich die historische Forschung nach dem Leben Jesu zugrunde legt, dann dürfte man das Kerygma lediglich von den historischen Jesusworten ausgehend bilden. Bei aller Sinnhaftigkeit historischer Christusforschung darf jedoch nicht übersehen werden, dass auch das nachösterliche, also historisch nicht mehr greifbare Geschehen Teil des Christuskerygmas ist. Nicht nur das Wirken, sondern auch die Wirkung, also der Glaube muss Beachtung finden. Historische Forschung allein kann also keine konstitutive Bedeutung für den Glauben haben. Ihr kommt aber doch die Bedeutung eines regulativen Elements in der Christusgläubigkeit zu, indem sie immer wieder daran erinnert, dass Jesus Christus wahrer Mensch unter Menschen gewesen ist.

Christologische Ansätze im Neuen Testament

Das Neue Testament durchzieht die Frage danach, wer Jesus eigentlich ist. Allem Anschein nach hat der vorösterliche Jesus diese Frage auch wohl nicht beantwortet, sondern sich ihr und der Belegung mit Würdenamen immer wieder entzogen. Allerdings muss auch betont werden, dass in der Verkündigung und dem Handeln Jesu ein außerordentlicher Vollmachtsanspruch präsent war. Diesen kann man als implizite Christologie bezeichnen. Erst in der urchristlichen Verkündigung gibt es dann Ansätze einer expliziten Christologie. Für sie ist die Ostererfahrung von grundlegender Bedeutung, und sie findet den Ausdruck in der Verwendung von Würdenamen wie Christus, Sohn, Kyrios oder Menschensohn.

Entwicklung des christologischen Dogmas

Aus dieser expliziten Christologie entwickelt sich dann nach und nach das christologische Dogma. Bereits im Prolog des Johannesevangeliums (Joh 1) wird versucht, Sohn und Vater wesenhaft zusammen zu denken. Doch erst das Konzil von Nizäa (325 n.Chr.) schreibt erstmals fest, was als orthodox gilt: Jesus Christus als der Logos ist zwar vom Vater unterschieden, aber er ist mit ihm eines Wesens (homoousios). Das Konzil von Konstantinopel (381 n.Chr.) fügt dieses Wesenseinheit noch den Geist hinzu. Beide, Christus und Geist, werden also als wahrhaft göttlich definiert.

Dennoch ging die Beschäftigung mit der Frage weiter, in welchem Maße der nun als göttlich geltende Christus auch Mensch war. Ihre vorläufige Lösung fand sie im Konzil von Chalcedon (451 n.Chr.). Die Frage danach, ob in der Person Jesu Christi Gottsein und Menschsein vereint sind, wird dort bejaht. Jesus Christus gilt fortan als wahrer Gott und wahrer Mensch. In seinem Menschsein ist er uns Menschen gleich, in seinem Gottsein ist er Gott gleich. Das Konzil von Chalcedon bildete das Fundament alles weiteren Nachdenkens über die Christologie.

Christologie der altprotestantischen Dogmatik

Die Confessio Augustana stützt sich weitestgehend auf das Dogma von Chalcedon und nimmt die Lehre von der göttlichen und der menschlichen Natur Christi wieder auf. In seiner Göttlichkeit kommen Jesus Christus alle Eigenschaften zu, die auch Gott zugesprochen werden. Das sind v.a. Unendlichkeit, Allmacht und Unveränderlichkeit. In seiner menschlichen Natur hat Christus Teil an den Beschränkungen des irdischen Lebens. Schlagworte sind: Endlichkeit, Ortsgebundenheit, Leiblichkeit, Leidensfähigkeit. Diesen menschlichen Eigenschaften werden jedoch einige Sondereigenschaften hinzugefügt: Jesus ist sündlos, und insofern er der Sünde nicht unterworfen ist, ist Christus auch unsterblich.

Die göttliche und die menschliche Natur Christi sind durch das Inkarnationsgeschehen zu einer untrennbaren Einheit, bzw. Gemeinschaft verschmolzen. Jesus als Gottmensch ist Träger aller Eigenschaften beider Naturen.

Zweifacher Stand Christi

Im frühen 17. Jahrhundert bildet sich in Anschluss an Phil 2 die sog. Lehre vom zweifachen Stand Christi heraus. Man unterscheidet zwischen der Erniedrigung als Knecht in Jesu Leben von der Krippe bis zum Kreuz und der Erhöhung des auferstandenen Christus. Mit Phil 2 wird das irdische Leben Jesu als Selbstentäußerung (Kenosis) des präexistenten Sohnes verstanden; der göttliche Christus entäußert sich durch seine Menschwerdung seiner göttlichen Herrlichkeit. Hierbei ergibt sich aber ein Konflikt mit der Unveränderlichkeit als einer Grundeigenschaft Gottes. So erwuchs denn aus dieser Vorstellung von der Entäußerung auch der sog. Kenosis-Streit. Eine Seite behauptete, Christus habe sich seiner Majestätseigenschaften lediglich enthalten. Das würde aber darauf hinauslaufen, dass die menschliche von der göttlichen Natur doch geschieden ist. Die andere Seite ging davon aus, Jesus habe den Gebrauch seiner göttlichen Eigenschaften in seinem irdischen Leben lediglich verhüllt.

Dreifaches Amt Christi

Die Lehre vom dreifachen Amt geht von den alttestamentlichen Funktionen des Propheten, Priesters und Königs aus. In Christus sind sie vereint und daher ergibt sich

  1. das prohpetische Amt (munus propheticum)
    Jesus Christus offenbart durch die Verkündigung des Gesetzes und Evangeliums den Heilswillen Gottes.

  2. das priesterliche Amt (munus sacerdotale)
    Jesus Christus fungiert als Mittler zwischen Gottes Rettungswillen und Gottes Zorn über die Sünde der Menschen. Diese Vermittlung hat sich einmalig historisch vollzogen in Form von Jesu Leiden und Sterben am Kreuz (satisfactio). Somit ist der Kreuzestod als Stellvertretertod für die gesamte Menschheit zu verstehen. Aber das priesterliche Mittlerwirken setzt sich auch fort, indem der erhöhte Christus fürbittend vor dem Vater für die Menschen eintritt

  3. das königliche Amt (munus regium)
    Jesus Christus sammelt die Gemeinde durch die Aussendung des Heiligen Geists.

Jesus Christus: wahrhaftiger Gott - wahrhaftiger Mensch

- Ein Essay -

Um die Glaubensaussage, dass Jesus Christus zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott ist, wurde und wird im theologischen Diskurs immer wieder gestritten und gerungen.

Problematisch ist die Tatsache, dass sich im „historischen Kern“ des NT lediglich eine implizite Christologie finden lässt. Diese ist abgeleitet aus dem vollmächtigen Reden und Wirken Jesus. Zu beobachten ist, dass er sich der Auszeichnung durch Würdenamen stets entzieht. Erst mit der Ostererfahrung beginnt eine explizite Christologie, die Hoheitstitel wie „Kyrios“, „Christus“ oder „Sohn“ verwendet.

Im Prolog des Johannesevangeliums begegnet die Vorstellung von Jesus Christus als dem Logos als Denkhilfe, woran dann die antiochenische Logos-Sarx-Christologie anknüpft. Im Konzil von Nizäa (325 n. Chr.) wurde dann erstmals die Gottgleichheit Jesu dogmatisch festgelegt. Auch um den Arianischen Streit zu beenden und die Lehrmeinung zu widerlegen, Jesus sei allein menschlich.

Den wichtigsten Punkt in der Herausbildung des christologischen Dogmas stellt das Konzil von Chalcedon (451 n. Chr.) dar. Jesus Christus wird als wahrhaftiger Gott und zugleich als wahrhaftiger Mensch bezeichnet und damit der Grundstein für die Zwei-Naturen-Lehre gelegt. Gemäß dem Chalcedonense stehen sich beide Naturen - die göttliche und die menschliche - unzertrennt und ungeschieden, dabei aber gleichzeitig unvermischt gegenüber. Mit diesen Antithesen wird versucht, das auszudrücken, was eigentlich ein logisches Paradoxon ist. Überhaupt muss man sagen, dass alles Reden von Gott, resp. Christus, nur unzulänglich das Ausdrücken kann, was das Wesen Gottes ausmacht.

Die Problematik, wie diese zwei Naturen in einer Person, nämlich der Person Jesu, zu denken sind, beschäftigt die christologische Reflexion seither.

Die sogenannte Lehre vom zweifachen Stand Christi versucht, die zwei Naturen in der Bewegung von Erniedrigung und Erhöhung Christi zu sehen. Jesus als gehorsamer Knecht unterwirft sich im irdischen Leben von der Krippe bis zum Kreuz dem Leiden und Sterben. In seiner Auferstehung und Himmelfahrt wird er jedoch als göttlicher Herrscher erhöht (status exinanitionis und status exaltationis).

Wie ist dann aber die Göttlichkeit Jesu in seinem irdischen Leben zu denken? Die zentrale Stelle im NT zu dieser Problematik ist Phil 2. Hier ist von einer „Selbstentäußerung“ Christi die Rede (Kenosis). An der Auslegung von Phil 2 entbrannte ein heftiger Streit unter den Gelehrten der Universitäten Tübingn und Gießen - der sogenannte Kenosis-Streit. Während die Tübinger Theologen davon ausgingen, Jesus habe sich in seinem irdischen Dasein seiner göttlichen Eigenschaften enthalten, bzw. darauf verzichtet, ging man in Gießen davon aus, Jesus habe seine göttlichen Eigenschaften lediglich verhüllt. Kritisch betrachtet kann man der Vorstellung, Jesus habe unter Verzicht auf seine göttlichen Eigenschaften auf Erden gelebt, den Vorwurf des Ebionitismus machen, weil er dann in logischer Konsequenz nicht mehr als wahrhaft göttlich gelten kann. Umgekehrt bietet die Aussage von der Verhüllung der göttlichen Eigenschaften Anlass zum Vorwurf des Doketismus, weil Jesus in diesem Fall nicht als wahrhaftiger Mensch angesehen werden kann.

Seit Calvin geht man weniger von dem zweifachen Stand als vielmehr vom dreifachen Amt Christi aus. In Anlehnung an alttestamentliche Ämter unterscheidet man zwischen munus propheticum, munus sacerdotale und munus regium, also prophetischem, priesterlichem und königlichem Amt Christi. Im munus propheticum erweist sich Christus als Offenbarer des göttlichen Heilswillens, indem er Gesetz und Evangelium verkündigt. Im munus sacerdotale zeigt sich Christus als Mittler zwischen Gottes Zorn über die Sünde der Menschen und Gottes unbedingtem Rettungswillen. Diese Vermittlung besteht natürlich im einmaligen historischen Ereignis der Kreuzigung, mit der dem Zorn Gottes ein für allemal Genüge getan ist (satisfactio). Aber ebenso tritt der erhöhte Christus auch fortwährend für den Menschen durch Fürbitte ein (intercessio). Schließlich bleibt noch das munus regium, das in der Sammlung der Gemeinde besteht, die Christus als Haupt regiert, sowie in der Sendung des Heiligen Geistes.

Wie kann aber nun der wahrhaft göttliche Christus zugleich auch wahrer Mensch sein? Jesus ist insofern als wahrer Mensch zu betrachten, als er in seiner Sündlosigkeit gleichsam den Menschen in seiner gottgewollten Gestalt verkörpert. Durch die Weisung seiner Gebote und durch seinen Tod am Kreuz hat Christus es den Menschen ermöglicht, aus ihrer Gottferne, die in ihrer Sünde besteht, zu Gott zurück zu finden. Und durch seinen Tod und die Auferstehung ist die Gottferne endgültig aus dem Tod herausgebrochen. Mit seinem irdischen Leben gibt der Mensch Jesus den Menschen ein Vorbild. Gott erweist sich in Gestalt Jesu als reales, dem Menschen nahe stehendes Gegenüber. Indem Gott sich selbst in Gestalt Jesu menschlichem Leid und menschlichen Zwängen unterwirft, sagt er erneut sein bedingungsloses „Ja“ zu seiner Schöpfung, die erst mit der Auferstehung, als absolut neue Tat Gottes, die nur mit der Schöpfung zu vergleichen ist, vollends verstanden werden kann. Schwierig bleibt dann allerdings das Gegenüber von Gott Vater und Jesus, wie es etwa in der Gethsemane-Szene zu Tage tritt.